das waren zwei aufregende Wochen mit zwei Konfernzen in zehn Tagen: zuerst die Re:Publica in Berlin, dann die Public-Spaces-Konferenz in Amsterdam. Über die erste brauche ich nicht viel zu schreiben (auch, weil Dirk von Gehlen es schon getan hat*), über die zweite habe ich gleich zwei Texte für diesen Newsletter getippt. Warum? Weil die Public-Spaces-Konferenz super war, inspirierend, klug (sogar gesungen haben wir, aber darüber liegt der Mantel des Schweigens).
Eine Bitte: Ich freue mich über jeden, der diesen Newsletter wo, wem und wie auch immer empfiehlt. Danke! 🙏
Viel Spaß beim Lesen!
Björn
* Wird es möglicherweise in jeder Ausgabe einen DVG-Link geben?
Wann wird aus Resilienz Widerstand? Wenn Uber-Fahrer vorgeschlagene Routen nicht einschlagen oder deliveroo-Fahrer bei sich selbst bestellen: Wann wird aus taktischem Spiel mit Algorithmen eine strategische Gegenwehr? Der italienische Soziologie-Professor Tiziano Bonini hat auf der PublicSpaces-Konferenz in Amsterdam sein neues Buch vorgestellt: Algorithms of Resistance, also: Algorithmen des Widerstands (unter dem Link ist ein kostenloses PDF vom Buch erhältlich). Tiziano Bonini hat beobachtet, wie Menschen auf Algorithmen in ihrer Welt reagieren. Einige Beispiele:
Die koreanische K-Pop-Sensation BTS hat Millionen Menschen auf der ganzen Welt dazu gebracht, ihr Album zu verbreiten: in einer ausgeklügelte Kampagne mit vielen Stream-Partys. BTS-Fans in den USA erstellten dafür sogar gefälschte Konten, um die Musik der Band auf Platz 1 zu katapultieren.
Lieferfahrer in Indien bringen Kunden nicht nur das bestellte Essen, sondern auch Gemüse oder andere Einkäufe aus dem Supermarkt mit und verdienen sich ein Trinkgeld.
Shuadan, ein chinesisches Wort, steht für eine Taktik, den Algorithmus von Lieferdiensten zu beeinflussen: Lieferfahrer oder Restaurants bestellen bei sich selbst, was sie dann scheinbar (aus-)liefern, um besser bewertet zu werden.
Warum ist das spannend? Tiziano beschreibt für mich sehr praktisch-menschliche Varianten zwischen "Big Tech muss weg" und blindem Konsum: In seiner Forschung belegt er, wie sich aus Tricks und Verhaltensänderungen, die vor allem dem individuellen Schutz dienen, Formen des Widerstands entwickeln können - bis hin zu einer Vernetzung beispielsweise unter Lieferdienstfahrern, die schließlich in den Streik treten oder als Genossenschaft dem Big-Tech-Lieferdienst Konkurrenz machen.
Das macht die Algorithmen in Big-Tech-Plattformen doch nicht besser, oder? Stimmt, aber es zeigt zumindest, dass Menschen den Algorithmen nicht blind ausgeliefert sind, sondern bei der Suche nach einem Umgang mit ihnen möglicherweise Strategien entwickeln können, die den Algorithmus am Ende entwerten. Absolute Leseempfehlung.
Gibt´s wirklich eine Mastodon-Ministerin? Nein, leider! Aber als Alexandra van Huffelen heute früh die Bühne der PublicSpaces-Konferenz in Amsterdam betrat, machte sie immerhin eine so gute Figur, dass ihr der Titel der "Mastodon-Ministerin" gebühren würde. Am Revers ihres Jackets (im roten Kreis) trug sie einen Mastodon-Button (zur Erinnerung: Mastodon ist eine Anwendung im dezentralen Fediverse).
Wer (um Himmels Willen) ist Alexandra van Huffelen? van Huffelen ist eine niederländische Politikerin der sozialliberalen D66-Partei und arbeitet als Staatsministerin (bei uns entspricht das dem Amt einer Staatssekretärin) für Digitalisierung im Kabinett Rutte. Als sie 2022 ihr Amt antrat, haben wohl nur wenige große Hoffnungen mit ihr verbunden, flüstert mir mein Nachbar auf der Konferenz zu. Aber es kam anders, also: zumindest besser als erwartet.
Was hat sie denn getan? van Hoffelen hat sich konsequent für eine wertegetriebene, demokratiestärkende Digitalpolitik eingesetzt. Davon können sich deutsche Digitalminister eine dicke Scheibe abschneiden. In der Digitalstrategie der niederländischen Regierung sind die Dezentralisierung von Angeboten und die Datensouveränität schon das zweit- und drittwichtigste Projekt:
"Growing resistance to the power of large tech companies is paving the way for radical alternatives to the current internet with its winner-takes-all dynamic. Based on new design principles in which institutional innovation is embedded in technology, decentral solutions are emerging with regard to data storage, intelligence and applications."
Warum verliert van Huffelen ihr Amt? Weil die neue, rechtpopulistische Regierung in wenigen Wochen übernimmt - und die sozialliberale van Huffelen ihr Amt abgeben muss. Was dann kommt, steht in den Sternen - und zum Teil schon im Koalitionsvertrag: Künftig soll für Zeitungen und Bücher beispielsweise kein verminderter Mehrwertsteuersatz mehr gelten - Geert Wilders beschreibt das als eine "Steuererhöhung für die Eliten". Es wird nicht besser in den Niederlanden - und in Europa auch nicht, weil eine treibende Kraft für eine demokratiestärkende Digitalpolitik von der Bühne geht.
X-Twitter stillegen, umziehen ins Fediverse: Das Aktionsbündnis neue soziale Medien fordert in einer Petition an die Hochschulrektorenkonferenz, "all denen, die die undemokratischen, unfairen und unnachhhaltig agierenden Plattformen nicht nutzen möchten, eine Alternative eröffnen." Nun hat einer der Erstunterzeichner, der Berliner Bioelektronik-Professor Mario Birkholz, bei netzpolitzik.org erklärt, warum er den Appell unterstützt:
"Statt es einigen wenigen Großkonzernen zu überlassen, könnte an den Hochschulen die Entwicklung von Software für das Fediverse unterstützt, die Software getestet, Server in Betrieb genommen, Instanzen moderiert und zukünftige Fediverser geschult werden.Die vor uns stehenden Umwälzungen der digitalen Transformation sind von historischer Dimension. Sie sind in ihrer Bedeutung vergleichbar mit den Veränderungen im Zeitalter der Aufklärung, die die Grundlage für die Menschenrechte und ein friedlich vereintes Europa legten. Mögen die Hochschulen dabei behilflich sein, dass die Aufgabe einer gemeinwohlorientierten Digitalisierung gelingt – so wie es die Mission Statements von ihnen fordern."
Welche Erfahrungen haben die Hochschulen bisher im Fediverse damit gemacht? Ganz gute: Das Aktionsbündnis neue soziale Medien schrieb gestern, die Follower-Zahlen der Hochschulaccounts auf Mastodon hätten sich im vergangenen Jahr rund verdoppelt. Für Hochschulen, Forschungsinstitute (und Stiftungen) ist das Fediverse aus meiner Sicht eine naheliegende Heimat: Denn wer werteorientierte Entscheidungen trifft und öffentliches Geld verwendet, zu dem passt X-Twitter eben nicht. Darüber hatte ich in der ersten Ausgabe meines Newsletters schon geschrieben, und auch Nicola Wessinghage von der Agentur Mann beisst Hund hatte sich darüber im Anschluss an unsere gemeinsame Veranstaltung Gedanken gemacht.
Raum für Deine Entwicklung (und Werbung in eigener Sache): Einen Ort der Inspiration und Fokussierung für reflektierte Führungskräfte habe ich im vergangenen Jahr zusammen mit Lina Timm, Dirk von Gehlen und Martin Oswald entwickelt:
Nun bieten wir zum ersten Mal auch einen 24-Stunden-Workshop in Norddeutschland an, neben zwei Terminen in der Schweiz. Ist das was für Dich? Schreib mir gern direkt - und ebenso gern auch weitersagen. Danke!
Das war´s für heute. Dieser Newsletter kommt über ein konzernfreies Wordpress-Plugin zu Dir: Vielleicht läuft noch nicht alles rund? Dann freue ich mich, von Dir zu hören. The New Social ist kostenlos und bleibt es auch - mein Lohn wäre, wenn Du anderen vom Newsletter erzählst und mir hilfst, mehr Leser*innen zu finden. Danke!
Wir hören uns in zwei Wochen, es sei denn, Du schreibst mir vorher eine E-Mail. Danke für´s Lesen und viele Grüße,
Björn
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